Saturday, October 01, 2005

Am Boesch

Eine kleine Geschichte, die mir vorgestern in den Alltag kam.
Ich war länger auf der Arbeit, hatte auch keinen Druck, schnell wegzufahren,
weil kein Kind vom Kindergarten abzuholen war.
Also einen gemütlichen Gang durch meine Lieblingsbuchhandlung (so eine, wo
Bücher noch mit Bedacht präsentiert werden und wo man noch um Rat fragen kann.)
Sechs Bücher schwerer ins Auto und noch ein Halt an der Tankstelle.
Vor dem Gebäude registriere ich nebenbei einen Schüler, 15- oder 16-jährig,
ratlos in seinen Taschen kramend.
In der Tanke, ich bin fast dran, drängelt selbiger sich vor. Nicht unverschämt,
eher in einer Mischung aus Zerstreutheit und Not.
(Anmerkung: Das Ganze in einem charmanten Städtchen an der Prüm, wo man noch aufeinander
aufpasst.)
Der schmale Kerl hält der robusten Dame hinter der Verkaufstheke verlegen seinen
Ring hin: Ob sie ihm wohl 4 Euro für den Bus leihen kann, er will auch den Ring da lassen.
Ratlosigkeit. "Bub, warum hast du denn kein Geld dabei, das kann ich doch garnicht machen
mit der Kasse."
Er kramt seine Sachen nochmal durch.
Ich frage ihn, wohin er will. ...a ei..e nuschelt es. Bitte nochmal! Aha!
Dann kann ich dich mitnehmen. Er kramt tiefer in seinen Sachen.
Nun wieder die robuste Dame: "Junge, nun geh mal mit der Frau. Das ist doch ein Angebot.
Da hast du doch Glück." Sie kennt mich vom Sehen, weiß mich einzuordnen.
Also trappert er mit, hilft, den Kindersitz im Kofferraum zu verstauen, schiebt sich auf den
Beifahrersitz des Panda, knautscht seinen Rucksack in den Fussraum.
Beim Losfahren fragt er, die Ohrstöpsel schon in den Händen, ob er Musik hören kann.
Ja, wenn's nicht zu sehr dröhnt.
Ob er sich anschnallen soll?
Aber sowas von selbstverständlich!
Also losfahren.
Neben mir klingt leise das Dröhnen, das er volle Kraft in den Ohren hat.
Ich fahre und denke an die Zeit, als ich nebenher mit Taxifahren mein Studium finanziert habe,
an die ganz eigene Wahrnehmung, wenn man Fremde mitnimmt.
Ich mache das Radio an, weil mich das mittellaute Dummdumm nebenan doch stört, so als
einziges Geräusch neben dem Motor- und weil ich es auch unhöflich finde.
Ein Stück Autobahn, dann Abfahrt und Umweg für mich, um den Burschen nach Hause zu bringen.
Eine Viertelstunde Umweg für mich.
Während ich mich auf Serpentinen konzentriere, kommt mir ein Gedanke.

Fünf Minuten später, ankommen, anhalten, der Bursche schaltet sein Beschallungsgerät auf Stumm.
Sein "Vielen Dank für's Mitnehmen" hat er gerade raus, ich bitte ihn, den Stöpsel aus dem Ohr zu
ziehen. Das sei nicht mehr eingeschaltet, er höre auch so, sagt er.
Ich sage nochmal freundlich, er solle mal den Stöpsel ziehen.
"Pass auf, ich habe jetzt eine Viertelstunde Zeit investiert. Das war meine Zeit, die ist jetzt bei dir.
Pass in der nächsten Zeit mal auf- und wenn da jemand ist, dem du mit einer Viertelstunde helfen
kannst, dann gib sie weiter."
Er sah ein wenig irritiert drein.

Und ich, ich habe hinterher überlegt, welche Gewinnmargen eine solche Zeitrechnung in sich trägt...

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